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Auf den Spuren von Martin Luther: Eine Schulreise mit dem Hansa-Kolleg Hamburg

Das große Reformations-Jubiläum steht vor der Tür. Die Zeitungen entdecken Martin Luther und das Fernsehen ist live dabei, wenn die frisch restaurierte Schlosskirche in Wittenberg feierlich wiedereröffnet wird. Es sieht so aus, als interessiere man sich plötzlich wieder für die Geschichte der Reformation. Aber um ehrlich zu sein: Interessieren sich da nicht diejenigen, die sich eh schon immer dafür interessiert haben, und allen anderen wäre das große Jubiläum herzlich egal, würde nicht 2017 der Reformationstag unerwartet zu einem bundesweiten Feiertag? Oder anders gesagt: Wenn wir unvorbereitet vor Schülern von Martin Luther sprechen, müssen wir doch schon froh sein, wenn der eine oder die andere an einen amerikanischen Bürgerrechtler denkt.

Es war also ein Wagnis, eine Studienreise „Auf den Spuren von Martin Luther“, kurz vor Beginn des großen Feiertrubels in Ost-Deutschland, Schülern zur Wahl zu stellen, noch dazu Mitte Oktober, zur besten Nieselregen-Saison. Und wir, die Organisatoren, waren zugegeben selbst überrascht, als wir am Ende mehr Interessenten als Plätze für unsere Reise hatten.

Sollte uns Luther denn interessieren, auch wenn wir nicht der evangelischen Kirche angehören oder überhaupt nicht christlich sind und vielleicht ganz und gar nichts mit Religion am Hut haben? Man könnte aber auch anders fragen: Kann in religiös aufgeheizten Zeiten, in denen überall auf der Welt mit Religion Politik gemacht wird, selbst dem eingefleischtesten Atheisten Religion noch egal sein?

Wenn im Nahen Osten unter Berufung auf eine heilige Schrift unsagbare Gewalttaten verübt werden; oder wenn im sich für christlich haltenden Russland mit staatlicher Billigung die Jagd auf jeden, der anders leben möchte als die Mehrheit, eröffnet wird; dann muss man sich vielleicht fragen, ob diese Länder und ihre Konfessionen nicht dringend einer Reformation bedürfen. Einer Reformation, die die Menschen begreifen lassen könnte, dass wir keinen Ablass von unseren Sünden bekommen, indem wir uns frei kaufen durch Geld oder Hass auf Andersgläubige oder -lebende. Luther bereitete einem solchen Ablass-Denken ein Ende. Man mag von seinem Gedanken, dass der Mensch allein durch Gnade erlöst werde, halten, was man will: Er war in seiner Zeit ein zivilisatorischer Fortschritt, an den wir uns heute erinnern sollten.

Und der doch nicht das Rätsel löst, wie ein Mensch, der so dachte, zu einem der verstörendsten Juden-Hasser der deutschen Geschichte werden konnte.

Vom 11. bis zum 14. Oktober 2016 haben wir uns also auf eine spannende Spurensuche nach diesem Mann begeben: 17 Schülerinnen und Schüler des Hansa-Kollegs in Hamburg, eines Gymnasiums des Zweiten Bildungsweges; begleitet von ihren Lehrern, Herrn Holger Wendebourg und Frau Saskia Heyden, sowie von Agata Kern, der Kulturreferentin des Ostpreußischen Landesmuseums, die in bewährter Weise die Reise organisiert hatte.

Nach einem kurzen Zwischenstopp am Magdeburger Dom führte uns der erste Reisetag nach Wittenberg, also gleich ins Zentrum der deutschen Reformation. Es war hier, an der Tür der Schlosskirche, dass Luther im Jahre 1517 seine folgenreichen 95 Thesen gegen den Ablasshandel anschlug. Die Kirche ist glanzvoll restauriert, aber auch wenn sich hier Luthers letzte Ruhestätte befindet, zeigt die Kirche kaum noch etwas von der Gestalt, in der sie sich dem Besucher vor 500 Jahren präsentierte. Zu sehr ist dieses Bauwerk als Nationaldenkmal verstanden und dementsprechend immer wieder überbaut worden. Mehr Luther scheint man dagegen noch in der Stadtkirche zu erahnen, in der der Reformator selber predigte.

Gleich am nächsten Morgen brachte uns unser Busfahrer zuverlässig zur nächsten Lutherstadt, nach Eisleben, dem Geburts- und Sterbeort von Martin Luther, und wie es sich für ein beschauliches Provinzstädtchen gehört, das aus einem so großen Namen Profit schlagen darf, hat man sowohl aus dem Geburtshaus als auch aus dem Sterbehaus jeweils ein veritables Museum gemacht, und dass man sich im Sterbehaus geirrt hat, weil Luther statt hier nun mal im nebenan gelegenen Hotel sein Leben beendet hat, stört heute niemanden mehr wirklich; und vor allem dem Geburtshaus gelingt es auch wirklich ganz ausgezeichnet, das Leben und Denken der Menschen vor einem halben Jahrtausend uns Heutigen nahezubringen. Dass man durch einen Seitenausgang des Museums direkt vor die Lutherschenke gelangt, in der man sich dann unter einem gewaltigen Luther-Porträt vom nicht enden wollenden Nieselregen erholen kann, der uns sonderbarerweise aber nie die gute Reise-Laune verdorben hat, war nebenbei auch eine publikumsfreundliche Idee, von der wir profitiert haben.

Nach so viel Reformation ging es dann am Nachmittag mit unserem Bus in die thüringische Landeshauptstadt Erfurt, und manch einer war dann doch froh, wieder in der Gegenwart angekommen zu sein. Zumal Erfurt selbst bei Nieselregen einfach wunderbar anzusehen ist und die Stadt voll ist von Restaurants und Kneipen und auch der obligatorische Irish Pub nicht fehlte, der zu einer ordentlichen Schulreise nun einmal dazu gehört. Und wie wir tags darauf im Augustinerkloster lernen durften, waren es ja die Mönche, die die deutsche Bierkultur zu ihrem unschlagbaren Niveau brachten, um mit Hilfe des Gerstensaftes das mönchische Dauerfasten überstehen zu können.

Nach einer Stadtführung am nächsten Morgen und der anschließenden Besichtigung eben dieses Klosters, dem Luther nach einer mit Hilfe der heiligen Anna glücklich überstandenen Gewitterwanderung beigetreten war – und man fragt sich, ob der tiefere Sinn der Reformation nicht eher darin lag, dass er später trotzdem seine geliebte Nonne Katharina heiraten wollte … – danach also ging es weiter Richtung Eisenach, vor dessen Toren wir die letzte Nacht unserer Fahrt verbrachten.

Zum Abschluss der Reise fuhren mit dem Bus hoch auf die Wartburg, die, so lernten wir, die meist besuchte Sehenswürdigkeit Deutschlands sei, womit Schloss Neuschwanstein dann wohl doch einpacken kann. Nicht jeder von uns wollte das sofort glauben, aber als wir uns am Ende unserer Führung durch Massen von Menschen jeder Nationalität drängeln mussten, um wieder hinauszugelangen, gab es keinen echten Zweifel mehr. Auf der eindrucksvoll über dem Thüringer Wald thronenden Wartburg hat Luther die Bibel ins Deutsche übersetzt; genauer: erstmal nur das Neue Testament. Und wenn man sonst auch vielleicht nicht viel am Hut haben mag mit Luther, Kirche, Christentum: Luther hat hier oben nichts Geringeres getan, als die deutsche Sprache zu erfinden. Allein schon dafür hätte er es verdient, dass dieser Tag 2017 bundesweit gesetzlich gefeiert wird.

Am Ende dieser kurzen, aber abwechslungsreichen Reise sind wir alle sicher nicht zu Luther-Experten geworden. Aber manch einer von uns hat angefangen nachzudenken über eine der großen, weltverändernden Gestalten der deutschen Geschichte und die Fragen, die ihn bewegten und die uns heute zum Teil vielleicht immer noch betreffen. Als wir dann aber auf dem Rückweg einen letzten Halt machten in Göttingen und einen starken Kaffee tranken auf einem wunderschönen Fachwerk-Marktplatz, auf dem Luther nie ein überliefertes Wort gesprochen hat, da war auch das gut.

Wir danken dem Kulturreferat des Ostpreußischen Landesmuseums, das uns diese Reise ermöglicht hat; wir danken wieder einmal ganz besonders Agata Kern, die uns nun schon zum vierten Mal auf einer Reise begleitet und auch diese Reise wieder einmal perfekt für uns organisiert hat! Und wir freuen uns bereits auf das nächste gemeinsame Projekt!

 

Holger Wendebourg    (Lehrer am Hansa-Kolleg, Hamburg)

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