Krakau

Die Partnerschaft des Hansa-Kollegs mit dem Krakauer CKU

Die Partnerschaft zwischen dem Hansa-Kolleg und dem Centrum Kształcenia Ustawicznego (CKU), einer Erwachsenenbildungseinrichtung in Krakau, besteht seit 1999. Ursprünglich eingebettet in das Comenius-Programm der EU, das internationale Kooperationen zwischen Schulen unterstützt, ist die Partnerschaft mit dem CKU mittlerweile ein fester Bestandteil unseres Schullebens.
Seit dem Jahr 2000, als das HAK zum ersten Mal eine Gruppe Krakauer Schüler zu Gast hatte, besuchen sich Schüler des CKU und Kollegiaten des Hansa-Kollegs nahezu jährlich abwechselnd.

Zu Gast in Krakau im Herbst 2011.
Aufzeichnungen aus einem Reisetagebuch

Sonntag, 25.9.:

Der Weg nach Krakau ist lang. Hat man erst einmal Berlin und Cottbus hinter sich gelassen, rollt der polnische Intercity neun Stunden lang durch Birkenwälder und horizontweite Felderlandschaften. Die baufälligen Bahnhöfe, an denen wir halten und uns mitunter auch die Beine vertreten können, wirken menschenleer und bieten keinen Ersatz für die im Zug bereits überlasteten Toiletten. Im Großraumwagen herrscht schläfrige Stille vor, da die hier versammelten Reisegruppen – neben uns Hansa-Kollegiaten noch eine 10. und eine Berufsschulklasse aus Hamburg – seit den allerfrühesten Morgenstunden auf den Beinen sind und nun vorerst einmal versuchen, ihr Schlafdefizit auszugleichen. Erst allmählich erwachen die Lebensgeister wieder. Erste neue Bekanntschaften werden gemacht, sei es auf Exkursionen in den benachbarten Speisewagen, wo man das polnische Piwo antestet, oder sei es in jener Menschentraube, die sich um zwei Gitarren herum gebildet hat und nunmehr nach einem gemeinsam geteilten Liedgut sucht. Mit den Sportfreunden Stiller tauscht man ein Kompliment aus und gibt sich zusammen der Vorstellung hin, was zu tun wäre, wenn denn jetzt (endlich doch noch) Sommer wär’….
Als der Zug schließlich den Krakauer Hauptbahnhof erreicht, ist es bereits dunkel. Am Bahnsteig warten zwei Lehrerinnen – Marta und Karolina – auf uns, begleitet von zwei ehemaligen Schülern, die von sich aus angeboten hatten, unser Gepäck vom Bahnhof zu unserer Partnerschule in den Stadtteil Nowa Huta zu transportieren. Ein auf dem Bahnhofsgelände errichteter Konsumtempel mit den allbekannten Geschäftsketten macht allen Neuankömmlingen deutlich, dass der Kapitalismus auch in Krakau längst angekommen ist, wohingegen die alte Straßenbahn, mit der wir während der nächsten vierzig Minuten in Richtung Schule fahren, noch das Flair der 80er Jahre verbreitet.
Im Schulgebäude angekommen, werden uns zunächst unsere Zimmer zugewiesen: Die Lehrer erhalten jeweils einen Raum und ein Bad für sich allein, die Kollegiaten sind in Vierbettzimmern untergebracht, bleiben aber auf dem gesamten Internatsflur ganz unter sich. Sobald alle Gepäckstücke flüchtig verstaut sind, wartet im frisch renovierten Kantinenraum ein warmes Abendessen auf uns. Nach der insgesamt 15stündigen Reise langen wir mit gutem Appetit tüchtig zu, sind anschließend aber doch so erledigt, dass ein jeder sich bald auf sein Zimmer verkrümelt.

Montag, 26.09.:

Der erste Tag in Krakau beginnt – wie von nun an alle weiteren Tage auch – mit einem durchaus üppig gedeckten Frühstücksbuffet. Viel Zeit, sich diesem zu widmen, bleibt allerdings nicht, weil wir zu einer Informatikstunde eingeladen sind. Der uns im Computerraum begrüßende Lehrer spricht nur Polnisch, doch haben wir zum Glück David und Nikolai in unserer Gruppe. Beide sind zweisprachig aufgewachsen und leisten während der gesamten Woche hervorragende Arbeit als Dolmetscher. So erfahren wir jetzt zum Beispiel, dass wir während der folgenden halben Stunde in Kleingruppen Powerpoint-Präsentationen vorbereiten sollen, mit denen wir über in Deutschland wichtige Feiertage informieren. Auweia! Die Zeit läuft, und die polnischen Schüler – ebenfalls allesamt schon erwachsen – klappern an ihren Tastaturen bereits munter drauf los. Also gut, Schockstarre überwinden und schön nach bewährter Methode vorgehen: Zunächst einmal ein kleines Brainstorming veranstalten („welche Feiertage fallen uns spontan ein?“), dann im Internet zu wikepedia.de surfen („was genau wird da eigentlich gefeiert?“) und schließlich nach illustrativem Bildmaterial googeln („womit machen wir die Folien schön bunt?“). Nach Ablauf der etwas ausgedehnten Erarbeitungsphase freuen sich alle darauf, ihre Ergebnisse nun auch zu präsentieren. Leider kann dies aber nur ganz rasch und unvollständig geschehen, da vor der Tür bereits die Schulleiterin, Frau Łabędzka, darauf wartet, uns durch ihre Schule führen zu können. Wir bekommen gezeigt, wie umfangreich das durch die Lehrer im Internet bereitgestellte Lernmaterial bereits ist, besichtigen Fachräume und Verwaltungszimmer, betrachten eine von Frau Łabędzka und Kollegen ausgearbeitete Dauerausstellung zur polnischen Geschichte und pilgern abschließend auch noch zu Carol, dem sprechenden und gegen Männer bissigen Papagei im Büro der Direktorin.
Nach dem wiederum reichhaltigen Mittagessen – uns schwant bereits, dass wir uns in Krakau kaum werden verschlanken können – brechen wir ins Stadtzentrum auf. Stadtführerin Margarete, dem einen oder anderen Gruppenmitglied schon von früheren Besuchen her als schwungvolle Rednerin wohlvertraut, zeigt uns bei strahlendem Sonnenschein zunächst die sogenannte „Wawelburg“, eine Art Nationalheiligtum der Polen. In dem prächtigen Renaissancepalast hoch über der Weichsel residierten früher die polnischen Könige. Die dazugehörige Domkirche ist der Ort, an dem diese Herrscher gekrönt worden sind, und er beherbergt bis heute noch ihre sterblichen Überreste.
Über eine enge Wendeltreppe vom Wawelhügel in die Tiefen einer Höhle hinabgestiegen, in der einstmals ein Jungfrauen vernaschender Drache gehaust haben soll, gelangen wir schließlich wieder auf die Straße am Fuß des Berges und schlendern durch italienisch anmutende Gassen zum Krakauer Marktplatz. Mit seiner Fläche von 200 mal 200 Metern gilt er, den die Krakauer „Rynek“ nennen, nicht etwa nur als der größte, sondern auch als der wohl schönste mittelalterliche Marktplatz in ganz Europa. Und in der Tat: Umsäumt von im Abendsonnenschein erstrahlenden Renaissance-Fassaden sowie den bunten Sonnendächern zahlloser Straßencafés , überragt von den zwei ungleich hohen Türmen der berühmten Marienkirche und in der Mitte durchzogen von einer aufwendig restaurierten Markthalle, ist dieser Ort von geradezu blendender Schönheit. Nicht viel länger mehr will man den Ausführungen zur Stadtgeschichte folgen, sondern drängt in eines der vielbevölkerten Cafés, will Teil des Ganzen werden und bei Café und Kuchen die Blicke schweifen lassen.
In den frühen Abendstunden erhalten wir noch eine Führung durch das neue, unter dem Marktplatzt gelegene archäologische Museum. Es ist mit allerneuster Präsentationstechnik ausgestattet und vermittelt einen bleibenden Eindruck davon, wie luxuriös es sich in der Hansestadt Krakau bereits zu Zeiten des Mittelalters leben ließ.
Beim Verlassen des Museums ist die Sonne schon untergegangen. Der Marktplatz und seine angrenzenden Gassen liegen im Zwielicht der „blauen“ Stunde vor uns. Das ist der perfekte Zeitpunkt dafür, einen ersten Streifzug durch das Krakauer Nachtleben zu beginnen…

Dienstag, 27.9.:

Oświęcim, so heißt die Kleinstadt, die wir heute besuchen, auf Polnisch. Ihr deutscher Name Auschwitz ist zu einem Symbol dafür geworden, was Menschen anderen Menschen antun können. Die hier von Deutschen während der Nazi-Zeit eingerichteten Arbeits- und Vernichtungslager waren Hauptorte eines in der Geschichte einzigartigen Verbrechens gegen die Menschheit.
Während der eineinhalbstündigen Busfahrt dorthin wird uns über den Bordmonitor ein Dokumentarfilm gezeigt, der über Vorgeschichte und Funktionsweise der drei in Auschwitz einst betriebenen Lager berichtet. Die Dokumentation ist gut gemacht, kann aber gleichwohl nicht vorwegnehmen bzw. gar ersetzen, was sich uns an Eindrücken vermittelt, als wir von einer polnischen Historikerin schließlich durch die ehemaligen Lageranlagen geführt werden. Denn wenngleich die Führung im sogenannten „Stammlager“ recht zügig erfolgen muss, da hinter der eigenen schon wieder die nächste Reisegruppe nachdrängt, geht von den zu besichtigenden Hinterlassenschaften, Dokumente und baulichen Einrichtungen ein stummer und dennoch geradezu unwiderstehlicher Appell aus: Wie wohl nirgendwo sonst ist man angehalten, sich gedanklich und emotional hineinzuversetzen in die Lage derer, die hier im Namen des deutschen Volkes ausgebeutet, gefoltert, gedemütigt und ermordet worden sind, und ihrer in Anteilnahme zu gedenken.
In Artikel 1 des seit 1949 geltenden Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland heißt es, es sei die Würde des Menschen unantastbar und ein Objekt staatlichen Schutzes. Wer die Gedenkstätten von Auschwitz besucht hat, wird – gerade als Deutscher – eindrücklich daran erinnert, dass solche Sätze nicht etwa zeitlose Wahrheiten festhalten, sondern Forderungen, Ansprüche und Verpflichtungen, die aus der Erfahrung gerade des Gegenteils heraus formuliert worden sind.
Am Abend sind Sarah Bernhard und ich bei drei polnischen Lehrerkolleginnen, bei Marta, Karolina und Joana, zum Abendessen eingeladen. Zwei dieser Kolleginnen hatten uns zu den Gedenkstätten begleitet. In der abendlichen Runde tauschen wir die Eindrücke des Tages aus und berichten uns von mündlich überlieferten Taten und Erlebnisse unserer Vorfahren. Diese Erlebnisse während der Zeit der deutschen Besetzung Polens sind erwartungsgemäß sehr verschieden. Dass im Gespräch darüber nicht das Gefühl der Fremdheit wächst, sondern das Empfinden einer neu gewonnenen Freundschaft, ist eine sehr schöne Erfahrung.

Mittwoch, 28.9.:

Heute wird’s traditionell zugehen. Mit Straßenbahn und Bus gelangen wir in das malerische Dörfchen Mogilany, einen im Südwesten Krakaus gelegenen Vorort der Stadt. In dem dortigen Kulturzentrum sollen wir eine Einführung in polnische Volkstänze erhalten; die Vorfreude darauf hält sich in Grenzen.
Zunächst bleibt noch ein wenig Zeit, den leicht verwilderten Park eines verlassenen Herrenhauses zu erkunden und bei herrlichstem Sonnenschein ein paar Gruppenfotos zu machen. Dann aber öffnet sich uns die Tür des in der Nähe gelegenen Kulturhauses, und wir werden von unserem Tanzlehrer, einem adretten jungen Herrn in blankpolierten Lederstiefeln, auf den Parkettboden geführt. Ein Kreis wird gebildet, die Hand des Nebenmanns bzw. der Nebenfrau ergriffen – und los geht’s! Rechts herum galoppiert, links herum gehüpft, Frauen im Innen-, Männer im Außenkreis, einander entgegengesetzt und dann wieder zusammen. Die Arme werden in die Hüften gestemmt, die Füße im Rhythmus auf den Boden gestampft, die Oberkörper immer schön aufrecht gehalten. Und das alles zu „Krakowiaka“, einer Tanzmusik, die wir nach kurzen Verschnauf- und Erläuterungspausen mit dem kollektiven Schrei „Muzyka! Krakowiaka!“ wieder herbeizurufen haben. Entgegen aller Erwartung aber ist es ein großer Spaß! Die Gesichter röten sich allmählich, und die Stimmung wird immer besser, sodass es sich zwei aus unserer Gruppe dann auch nicht nehmen lassen, das zu der neu erlernten Kunst passende Outfit anzulegen. Malina und David werden in die traditionellen Krakauer Trachten eingekleidet und könnten damit – wer hätte das gedacht! – auf jeder Postkarte als polnisches Traumpaar posieren.
Nachmittags sind wir zu einem besonderen Essen eingeladen. Kollegin Marta erklärt uns im Vorwege, dass Małgorzata, ein Mitglied der im letzten Jahr zu uns nach Hamburg gereisten Kollegiatengruppe, mit Freude an ihren Deutschlandbesuch zurückdenke, auch weil sie damals gerade (ohne es schon zu ahnen) mit ihrem vierten Kind schwanger gewesen sei. Ihrer Dankbarkeit für alles erfahrene Glück wolle sie nun mit altpolnischen Speisen Ausdruck verleihen… Der Bus bringt uns zu einer kleinen, auf einem Hügelkamm befindlichen Wohnsiedlung, von der aus sich ein herrlicher Fernblick bis in die hohe Tatra bietet.
An der Tür eines schmucken Einfamilienhauses erwartet uns Małgorzata zusammen mit ihrem Ehemann, mit ihren drei schon erwachsenen Kindern, mit ihrem Schwiegersohn und mit einem schneeweißen Hütehund. (Die stolze Präsentation des Babys erfolgt später.) Man geleitet die Gäste ins Wohnzimmer, wo zwei festlich gedeckte Tafeln uns vollends in Staunen und Verlegenheit versetzen: Warum wird uns eine solche Ehre erwiesen?! Die wechselseitige Beklommenheit ist noch viel zu groß, als dass in dieser Situation viele Worte gewechselt werden könnten. Ohne lange Vorreden beginnen die Gastgeber damit, uns bei polnischer Festtagsmusik einen Gang nach dem anderen zu servieren:
Dschurek (eine sauer-scharfe Hefesuppe), Piroggi, eine Rotebeetesuppe mit Bohnen sowie ein Nudel-Sauerkrautauflauf bescheren den deutschen Gaumen manch unverhoffte Geschmacksoffenbarung, derweil sich die polnischstämmigen Mitglieder unserer Gruppe über die Wiederbegegnung mit Mamas guter alter Küche freuen. Die Mägen füllen sich mehr und mehr, und mehr und mehr lockert sich auch die Atmosphäre auf – als wenn Körper und Seele ganz genau spürten, dass das, was ihnen hier löffel- und gabelweise zugeführt wird, eine riesengroße Dosis zu Speisen verdichteter Gastfreundschaft ist. Die Verständigung mit Worten fällt noch immer nicht leicht, aber durch Blicke und Gesten, beim Bewundern des properen Familienzuwachses, beim Kraulen des Hundes und nicht zuletzt beim gemeinsamen Butterstampfen – denn auch beim Kaffee mit Marmeladenbrot sollen alle Köstlichkeiten selbst gemacht sein – entsteht über alle Sprachbarrieren hinweg eine herzliche Verbindung. Als dann zum Abschluss des Nachmittags schließlich doch eine Rede gehalten werden soll, ist selbst Marta von der Situation so berührt, dass sie, statt übersetzen zu können, gegen Tränen anzukämpfen hat.
Mit prall gefüllten Bäuchen und ebenso übervollen Herzen brechen wir abends zur Rückkehr in die Stadt auf. Ein prächtiger Sonnenuntergang taucht die Hügellandschaft zum Abschied in ein goldenes Rot. Spätestens in diesem Moment empfindet ein jeder von uns, dass Małgorzata und ihre Familie einen tiefen Eindruck hinterlassen, uns der Besuch bei ihnen in strahlender Erinnerung bleiben wird.

Donnerstag, 29.9.:

An diesem Vormittag fahren wir wieder ins Stadtzentrum. In Ausstellungsräumen direkt am Marktplatz empfängt uns eine polnische Kunsthistorikerin, um uns durch die dortige Ausstellung zum Thema „Die orangene Alternative“ zu führen. Ende der 70er Jahre in der Stadt Breslau gegründet, ist diese „Alternative“ eine Protestbewegung gewesen, die mit künstlerischen Straßenaktionen auf Missstände im damals noch sozialistischen Polen aufmerksam gemacht hat. Öffentliche Proteste waren damals zwar verboten, doch sind die „orangenen“ Aktionen stets so zweideutig angelegt gewesen, dass die staatlichen Sicherheitskräften gegen sie nicht einschreiten konnten, ohne sich dabei zum Gegenstand allgemeinen Gespötts zu machen.
Obgleich selbst die Geschichtslehrer in unserer Gruppe von dieser Bewegung (im Zusammenhang mit Polen) noch nichts gehört hatten, stößt die Ausstellung auf allgemeines Interesse. Dass Kunst ein Mittel des politischen Widerstands sein kann, dürfte für viele von uns eine neue Erkenntnis gewesen sein.
Nach Beendigung der Museumsbesichtigung bleiben zunächst einmal ein paar freie Stunden, die sich für einen genüsslichen Bummel durch die wieder sonnendurchflutete Stadt eignen. Erst am Nachmittag sind wieder zwei offizielle Termine angesetzt:
Zunächst sind wir zu Gast im Englischunterricht unserer Kollegin Karolina, der es dort auf spielerische Weise gelingt, deutsche und polnische Kollegiaten, nachdem sie sich anfangs in Blöcken gegenübergesessen und etwas misstrauisch beäugt haben, kräftig durcheinanderzuwirbeln und in kleine Gespräche zu verwickeln.
Anschließend wird es dann förmlich: Auf dem Programm steht das offizielle Abschiedsessen, zu dem die Schulleiterin als Gastgeberin in den großen Konferenzraum der Schule geladen hat. In den früheren Jahren ist es üblich gewesen, dass bei dieser Gelegenheit außer der Schulleiterin auch die deutschen Lehrer eine kleine Tischrede halten.
Für heute allerdings hat sich Frau Łabędzka etwas Neues ausgedacht. In ihren Begrüßungsworten richtet sie sich direkt an die deutschen Kollegiaten und möchte wissen, was denn ihnen während ihres Krakau-Besuches bislang am besten gefallen habe. Das war zwar so nicht angekündigt, bringt aber niemanden in Verlegenheit: Nacheinander stehen fast alle Mitglieder der Gruppe auf und formulieren jeweils in merklich von Herzen kommenden Sätzen, warum sie sich glücklich schätzten, mit nach Krakau gereist zu sein, und warum sie der Meinung seien, dass die bestehende Schulpartnerschaft unbedingt fortgesetzt werden solle. Frau Łabędzka und ihre Kollegen sind sichtlich beindruckt – und Frau Bernhard und Herr Stein irgendwie stolz auf „ihre“ Gruppe. Von da an herrscht auch an diesem Abend wieder, trotz aller Förmlichkeiten, eine gelöste Stimmung.

Freitag, 30.9.:

An diesem letzten Tag sind wir morgens noch einmal mit der Stadtführerin Margarete verabredet. Erkundet werden soll der Stadtteil Nowa Huta, zu dem auch unserer Partnerschule CKU gehört. […]

Am Abend bildet ein Besuch der neuen Krakauer Oper den letzten Höhepunkt unseres Programms. Für viele von uns ist das ihr erster Opernbesuch überhaupt, eine persönliche Premiere gewissermaßen. Soweit es die schmale Reisegarderobe nach einer Woche noch zuließ, hat sich ein jeder von uns in Schale geworfen, und so sitzen wir jetzt in schwarzen T-Shirts, angeknitterten Hemden und halbwegs dunklen Jeans unter Menschen in Anzug und Abendkleidern, lesen noch einmal die Handlungszusammenfassung auf unseren mitgebrachten Wikipedia-Ausdrucken und sind zumindest doch neugierig, als nun endlich die ersten Takte von Puccinis „Madame Butterfly“ erklingen und der Vorhang sich hebt. Gesungen wird auf Italienisch, und auch die polnischen Übersetzungen, die auf den oberen Bühnenrand projiziert werden, tragen nicht eben zum besseren Verständnis bei. Mit der Zeit jedoch fällt es immer leichter, sich den Gang der Handlung allein aus der Sprache der Minen, der Gesten, der Kostüme und der Musik zu erschließen: Eine „Madame Butterfly“ (in polnischer Aussprache: „Madm Batrrrfloi“) genannte Geisha lässt sich mit einem US-amerikanischen General ein. Während er kurz darauf in sein Heimatland zurückkehrt, bringt sie ihrer beider Kind zur Welt, im festen Glauben daran, dass er sie wirklich liebe und zu ihr zurückkehren werde. Als er nach einigen Jahren tatsächlich wieder auftaucht, und zwar mit einer amerikanischen Frau und noch einem Kind, erkennt sie ihren Irrtum und begeht nach allen Regeln der Kunst Harakiri.
Nun ja. Opernhandlungen wirken selten sonderlich originell. Nach der Aufführung wird darüber gerätselt, was eine heutige Inszenierung dieser Geschichte dem Publikum wohl zu sagen vermag. Ist sie als Warnung vor transnationalen oder gar transkulturellen Eheschließungen zu verstehen? Oder vielleicht – allegorischer – als Warnung vor einem zu engen Staatenbündnis mit den USA?! – „Aber die Musik war schön“, gibt da ein Opernneuling zu bedenken, womit er den meisten von uns ganz aus der Seele gesprochen haben dürfte.
Vor dem Operngebäude umfängt uns die Luft eines lauen Spätsommerabends. Es ist Freitag, und die letzte Nacht in Krakau will nach in der Gruppe vorherrschender Meinung auch bis ins Letzte ausgekostet sein. Also entscheiden wir uns, noch einmal auszuschwärmen – hin zu Orten, an denen ein anderer Kleiderstil dominiert und andere Töne erklingen.

Samstag, 1.10.:

Die Wecker klingeln um 5.00 Uhr morgens. Unser Zug wird um 7.20 Uhr vom Hauptbahnhof abfahren. Marta, Joana und Karolina, die uns während der Woche so gut betreut haben, lassen sich nicht davon abbringen, uns zum Bahnsteig zu bringen. Auch für den Gepäcktransport ist dankenswerterweise wieder gesorgt. Die schlimmsten Abschiedsschmerzen lindert allein die Versicherung, dass es im nächsten Herbst ein Wiedersehen in Hamburg geben wird. Als sich der Zug schließlich in Bewegung setzt, steht ihm die aufgehende Sonne im Rücken. Insgesamt vierzehn Stunden Fahrt liegen vor uns, aber die meisten davon werden wir, erschöpft und glücklich von den Erlebnissen einer unvergesslichen Woche, in süßem Schlummer verbringen.
Malte Stein

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